
rollt zum Rednerpult, blickt in die Menge, atmet tief durch und schlägt dann das Manuskript der Rede auf
Frau Senatspräsidentin,
geschätzte Gäste aus dem In- und Ausland,
verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
aber vor allem: liebe Frau du Ferrand,
ich stehe heute vor Ihnen als höchster Repräsentant unseres Staates, aber auch als vermeintlicher Verlierer. Ein letztes Mal spreche ich nun zu Ihnen als Staatspräsident – und die Entscheidung darüber traf das Volk in einer knappen, wenn auch nicht sehr knappen Stichwahl.
„Landerberg verliert. Die Wählerinnen und Wähler haben sich für die andere Kandidatin ausgesprochen“, war zu hören. Ich bin überzeugt, das die Wahl der einen nicht die Ablehnung des anderen ist. Und so möchte ich auch als erstes meiner Nachfolgerin gratulieren, die mir zwar Gegnerin in einer Wahl war, die ich aber persönlich deswegen nicht weniger schätze, denn die Konkurrenz im politischen Leben sollte nie Einfluss haben auf die persönliche Meinung von einer Person. Und so darf ich heute mein Amt übergeben an eine Frau, die sich sehr für Bergen engagiert hat und dies – da bin ich sicher – auch weiterhin nach besten Kräften tun wird.
Gerne habe ich dieses Amt ausgeübt, habe mit Freude in drei Amtszeiten dem bergischen Volk als Staatspräsident gedient, hätte das auch gerne weiter getan – und doch fühle ich mich nicht als Verlierer und bedaure auch nicht, unterlegen zu haben. Vielmehr gehören doch Wahl und Abwahl zu unserem System der Regierung, sind gewollt. In einer Demokratie zu leben und ein Amt zu bekleiden, heißt immer nur, Macht auf Zeit übertragen zu bekommen.
Macht auf Zeit, aber Verantwortung auf Lebenszeit, könnte man sagen, denn meine Nachfolgerin in diesem, unserem höchsten Staatsamt wird gleich einen Eid schwören auf unsere Verfassung – auf fast 69 Jahre lebendige Demokratie.
Dieser Eid, gleichwohl er rechtlich nicht bindet, ist ein Versprechen, das weit über das Ende einer Amtszeit hinausgeht: Unsere Verfassungsväter waren sich durchaus bewusst, dass eine getreuliche Amtsausübung und dass Erhalt, Schutz und Verteidigung der Verfassung der subjektiven Einschätzung des einzelnen viel mehr unterworfen sind als der tatsächlichen, rechtlichen Beurteilung. Und sie haben sich bewusst dazu entschieden, dennoch nicht auf den Eid zu verzichten.
Ihn zu leisten, vor dem versammelten Parlament, in die Hände des Vorgängers, hat nicht nur symbolische Wirkung, nein, es ist auch ungeheuer eindrucksvoll. Die Eidesleistung symbolisiert die Amtsübernahme, ist ein Wendepunkt im Leben des Gewählten, dass nie wieder so sein wird, wie es zuvor war.
Viel zu prägend sind die Erfahrungen, die mit der Staatspräsidentschaft verbunden sind: Freud und Leid, Erfolg und Misserfolg, Freundschaft und Feindschaft, Macht und Ohnmacht, Weltpolitik und Bürgernähe, all das habe ich in anderthalb Jahren viel intensiver und nachdrücklicher erlebt als zuvor in meinem Leben. Ein wunderbares Gefühl, aber zugleich ein beängstigendes, denn niemand kann Verantwortung in Gänze wirklich allein wahrnehmen, aber ebenso kann einem niemand die eigene Verantwortung abnehmen.
Dieser Eid ist für den Gewählten ein Zeichen: Nachdem das Volk in allgemeiner, freier, geheimer, gleicher und unmittelbarer Wahl einer Person das Vertrauen ausgesprochen hat, bekräftigt er noch einmal die tatsächliche Verfügungsgewalt über dieses, durch den Willen des Volkes übertragene Amt. Das Parlament spricht dem Gewählten in gewisser Weise sein Vertrauen und seine Anerkennung aus. Gleichzeitig jedoch nimmt der Senat stellvertretend für das Volk dieses Versprechen entgegen, die Werte unseres Landes zu achten und zu schützen.
Niemand wird in dieser Situation so zynisch, so machtbesessen sein, den Eid allein zu leisten, um Macht, Anerkennung und persönlichen Vorteil zu erlangen. Wer dieses täte, verleugnete sich selbst und sein Wort und verlöre seine Anerkennung – und sei es nur vor sich selbst.
Macht um der Macht willen zu erlangen ist nicht demokratisch. Mit dem Streben nach Macht und Einfluss ist immer auch der Wille zu Gestaltung, der Wunsch nach dem Dienst am Volk verbunden. Erst dies macht das Streben nach Macht vereinbar mit demokratischen Grundsätzen.
Und dieses Streben bewegt ein Leben lang: Wem einmal die Ehre zuteil geworden ist, in dem wird ein Feuer entfacht – das beweisen so viele Menschen in diesem Land.
Ich kann nur alle Bürgerinnen und Bürger aufrufen, sich für ihre Sache, für unser Land ehrenamtlich zu betätigen und diese wunderbare, prägende und inspirierende Erfahrung auch zu machen, die ich im ganz großen erleben durfte. Für diese Erfahrung bin ich noch immer in tiefer Demut dankbar und fühle mich als Geehrter, nicht als Verlierer.
Es war mir eine große Ehre, Bergen dienen zu dürfen und es wird mir Anliegen und Verpflichtung sein, das auch in Zukunft weiter und wieder tun zu dürfen.
Meiner Nachfolgerin möchte ich noch einige Dinge mitgeben: Zum ersten natürlich den Glückwunsch, ebenfalls an dieser Ehre teilhaben zu dürfen, zum zweiten aber auch Dank und Anerkennung, die große Herausforderung und Bürde des Amtes anzunehmen, dann der Wunsch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, eine gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und nicht zuletzt viel Glück und Erfolg für die nächsten sechs Monate haben zu dürfen.
Ich wünsche ihr, dass sie ähnliche Erfahrungen machen darf wie ich, dass ihr vielleicht die eine oder andere Erfahrung auch erspart bleibt und dass sie das schaffen kann, was sie sich vorgenommen hat.
Ich wünsche ihr, dass sie es schafft, ihren Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen, vor denen unser Land steht, und ihren Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Toleranz leisten zu können.
Und ich wünsche ihr, dass es ihr gelingt, auf bisher erreichtem aufzubauen und neue Möglichkeiten mit Weisheit und Voraussicht zu erschließen, ohne bewährte Wege zu verbauen.
Ich bin zuversichtlich, dass ihr das gelingen wird, mit der Hilfe vieler Menschen.
Auch ich bin vielen zu großem Dank verpflichtet, mehr als Worte überhaupt ausdrücken könnten:
Da ist meine Familie, die mir so viel Rückhalt gegeben und so viele Opfer gebracht hat, dass ich nur drei Worte sagen kann: Ich liebe euch! - Ihr seid die besten und ich weiß nicht, womit ich soviel Verständnis verdient habe.
Da sind die wunderbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatspräsidialamtes, die unermüdlich übermenschliches geleistet und unmögliches doch noch möglich gemacht haben. ES war mir eine große Freude und Ehre mit Ihnen allen zu arbeiten.
Und da ist auch das bergische Volk, das mir mit Bestätigung, aber auch mit heilsamer Kritik vor Augen geführt hat, in welch wunderbarem Land wir doch alle leben dürfen.
Frau du Ferrand, wann immer Sie glauben werden, dass Sie scheitern und eine Aufgabe nicht werden lösen können, Sie daran zu zerbrechen drohen, wann immer Sie an Ihren Prinzipien zweifeln oder das Gefühl haben, allein zu sein: Bleiben Sie standhaft, denn auf einen ist immer verlass: Ihre Kritiker und Gegner, die Sie gerne mit Wort und Tat unterstützen werden.
Ein berühmter, pinker Comicheld aus Astor verabschiedet sich am Ende einer Episode immer mit den Worten: „Heute ist nicht alle Tage – ich komm wieder, keine Frage“
In diesem Sinne möchte auch ich mich verabschieden, ohne Frage mit Wehmut und um viele Erfahrungen reicher, aber ganz sicher nicht in Trauer und wirklich nicht ohne Erleichterung.
Man sieht sich.